Von Särgen und Tränen

Vor ein paar Jahren fielen mir besondere Lautsprecher in die Hände. Seitdem gibt es kein Entrinnen mehr für mich und meine unterdrückten musikalischen Gefühle. Das ist wirklich schlimm, denn immer müssen Tränen dabei fließen. Wollt ihr die ganze mysteriöse Geschichte? Hier ist sie:

Es ist gut, wenn man als Paar feststellt ähnliche Interessen zu teilen. Sehr schön ist es auch, wenn es dabei eine gewisse Schnittmenge in Sachen musikalischer Vorlieben gibt. In einem frühen Stadium unserer Beziehung gingen Hasi und ich dann und wann gemeinsam in Secondhand-Läden Platten shoppen. Nach nur kurzer Zeit füllte sich ein heimischer Plattenregalmeter mit gebrauchten Siebzigerjahre-Scheiben. Auf einer unserer gemeinsamen Shoppingtouren in einem Trödelladen, musste ich mir kurz die Zeit damit vertreiben das restliche Sortiment zu inspizieren, da Hasi im Eifer ihrer Sammelleidenschaft einen Stapel von mehreren Dutzend alter Scheiben vor der einzigen Abhörmöglichkeit angelagert hatte. Während meiner Runde duch das kleine Ladenlokal, entdeckte ich zwei mannshohe Standlautsprecher ohne Firmenlogo. Gekleidet in angestoßenes Nußbaum-Funier, an einer Seite von der Sonne ausgeblichen, waren sie wirklich keine Schönheiten. Mein Nachfragen über die Herkunft der Geräte brachte keine weiteren Erkenntnisse. Schnell zog ich mein Interesse wieder zurück. Was sollte ich auch mit den komischen Dingern anfangen, ich hatte ja bereits ein paar ordentliche Lautsprecher zuhause.

Zu spät. Zwei Tage danach stand ich wieder in dem Laden um die Schallwandler unbekannter Herkunft pobezuhören. Trotz einiger Verrenkungen, die der Ladenbesitzer auf sich nahm, um die Klangquellen im Sarg-Look mit anderem alten Musikequipment zu verdrahten, war ich eigentlich nicht begeistert von ihrem Sound. Zu diesem Zeitpunkt war mir der Klangeindruck aber fast schon egal. Das lag daran, dass die Musikschränke auf eine unbestimmbare Art meine innere Vorstellung von Lautsprechern spiegelten und mich deshalb magisch anzogen. Ich bezahlte nach kurzem Handeln und vereinbarte sie abzuhohlen, sobald ich einen Umzugswagen dafür frei hätte. Die Klangtruhen brachten nämlich ein gewichtiges Problem mit sich: Jede der Boxen wog, laut Angabe des Ladenbesitzers, so um die 60 Kilo. Das Umzugsauto für den Umzug in unsere erste gemeinsame Wohnung, schien die erstbeste Möglichkeit für den Abtransport. Mein Einstieg in das audiophile Hören war ein echter Sprung ins kalte Wasser, bis auf das hohe Gewicht hatte ich wirklich keine Ahnung was mich erwartete. Über Umwege fand ich heraus, dass es sich bei den Lautsprechern um ein Selbstbauprodukt eines renommierten französischen Herstellers handelte. Die 400 Euro, die ich investierte, waren möglicherweise ein echtes Schnäppchen. Als nach dem geglückten Transport das Paar Boxen und auch das restliche Mobiliar endlich in unserer neuen Wohnung stand, machte sich beim ersten Soundcheck im neuen Zuhause erneut die Ernüchterung breit. Ausgerechnet die Mittelton-Chassis, die als seltene Juwelen gehandelt werden, waren defekt. Aus irgendeinem schicksalhaften Grund verkaufte aber genau zu diesem Zeitpunkt jemand zwei dieser Raritäten auf einem Kleinanzeigenportal. Stichproben ergaben, dass dieses Angebot bis zum heutigen Tag einmalig war. Da mir der Trödelhändler den Differenzbetrag für den Austausch erstattete, stieg in mir erneut die Vorfreude für ein neues Testhören auf. Endlich komplett bestückt —wieder Ernüchterung. Jetzt mit den Mitten klang alles irgendwie zu … mittig. Ich lernte, dass auch ich mich zuerst auf die Suche nach den passenden Audio-Komponenten machen musste. Drei verschiedene alte Verstärker, alle in der Preisklasse um die 70 Euro, waren kurz zu Gast in meiner sogenannten Sigalkette, zwei davon gingen wieder. Die paar Euros, die ich investierte, sind natürlich ein Witz im Vergleich zu den Summen, die normalerweise von dieser Leidenschaft verschlungen werden. Nicht selten fließen in audiophilen Haushalten Gelder in handverlötete Röhrenendstufen und Masselaufwerke, die den Wert eines Eigenheims leicht übersteigen können. Man muss im Leben eben Prioritäten setzen. HighEnd-Liebhaber sind eine spezielle Gattung. Meistens sind es Leute mit elektrotechnischem Wissenshintergrund oder einem Hang zur Esoterik, oder einer Mischung aus beidem. Ein gewisses Maß an übersinnlichen Fähigkeiten wird in diesem Metier vorrausgesetzt: Natürlich kann man hören, ob der Strom sauber ist und selbstverständlich haben Anschlusskabel einen großen Anteil am Klang einer Anlage!

Wo jetzt der Unterschied zum Hören auf einer ganz gewöhlichen Stereoanlage liegt? Das läßt sich leicht beantworten: Ich muss regelmäßig rumheulen wenn ich bestimmte Musik auf diesen besonderen, alten Lautsprechern höre. Dann kullern mir echte Männertränen die Wangen herunter. Das liegt daran, dass diese abgeschabten Dinger die Musiker erst in unsere Wohnung holen, und dann direkt in mein Herz. Das ist mir manchmal wirklich unangenehm. Ich will nicht so oft die Kontrolle über meine Gefühle verlieren. Deswegen benutze ich sie selten, diese kostbaren Audiomöbel.

Anspieltipp:

Marcia Ball – Louisiana 1927

(Tränen auch auf durchschittlichen Lautsprechern möglich)

Mein erstes Mal

Ein paar Wochen ist es her, da war mein Neffe Kofi zu Gast bei uns. Er besucht uns ziemlich regelmäßig, immer wenn die documenta in der Stadt ist. Also in etwa alle fünf Jahre. Das mit Kofi ist in etwa vergleichbar mit der Beobachtung von erdnahen Asterioiden, die alle paar Jahre an unserem Mutterplaneten vorbeischrammen. Man kann diese Himmelkörper und ihren Feuerschweif einen Moment lang im Fernrohr besichtigen, bevor sie wieder in den Tiefen des Alls verschwinden. Zügellose Trabanten, die einen immer wieder in ihren Bann schlagen, sobald sie sich dem eigenen Orbit nähern und einen mit einem Schweif aus Fragen und Vermutungen in der eigenen Umlaufbahn zurücklassen.

Kofi, ist ein echter Weltenbummler, spricht mehrere Sprachen fließend und hat meistens keinen lokalisierbaren Wohnsitz. Ich weiß im Grunde nicht viel über ihn. Nur, dass er ab und zu Autos nach Afrika verschifft und schöne Gedichte schreibt. Da stand sie also mitten im Raum, seine sehr weltgewandte italienische Echtleder-Reisetasche. Kofi selbst war schon wieder unterwegs. Auf Joggingschuhen. Kaum war er angekommen, war er auch schon wieder mal kurz weg —im Zeichen der Fitness. Es sollte noch eine gute Stunde dauern, bis wir uns zur Begrüßung in den Armen lagen. Ich freute mich innerlich schon ganz diebisch auf die Eindrücke seiner letzten Reisen. Das ist so, bei Leuten wie mir, die selber sehr ortsbezogen sind und es kaum schaffen das eigene Quartier zu verlassen. Kofi erzählte von seinem letzten Ausflug auf den Kontinent der Verwandten seines Vaters. Natürlich hatte er wieder ein Auto im Gepäck. Bei einem Zwischenstop in Hamburg spontan gekauft und danach schnell nach Ghana verschifft. Einen Wohnwagen hätte er sich auch gerade besorgt, für einen Arbeitsurlaub in Zürich. Er wollte da für vier Wochen rüber mit seiner Freundin. Was für Kofi in ein bis zwei Nebensätze passte, bedurfte für mich noch weiterer Erklärungen, da kam ich mit dem Finger auf der Landkarte nicht so schnell hinterher. Das mit der Freundin war eine neue Facette, die ich noch nicht an ihm kannte. Wie soll das auch gehen —feste Freundin und ständig unterwegs? Aber klar – Freundin die im Wohnwagen mitkommt, in den Arbeitsurlaub, um bei der gleichen Firma zu arbeiten – das geht natürlich auch mit dem Status gemeinsam nicht sesshaft. Leider hatte seine Liebste irgendetwas anderes zu tun, weshalb sie gerade nicht mit dabei war. Ich mache mir keine Hoffnung sie jemals persönlich kennenzulernen. Am nächsten Tag war ein Besuch der 14. documenta angesetzt. Ich hatte mich im Vorhinein etwas informiert. Man konnte bei der Veranstaltung nie ganz sicher sein, ob der Unterhaltungswert konstant gewährleistet ist. Besser man bediente sich Insiderwissen. Meine Informanten hatten mir zugetragen, dass es sich, vorallem bei den im Ottoneum (so heißt das hiesige Naturkunde-Museum) ausgestellten Arbeiten, um echte Geheimtipps handelte. Wir begannen unsere Runde auf der Weltkunstaustellung trotzdem zunächst mit den Standards. In der Neuen Galerie war die Dichte an politisch aufgeladener Kunst allerdings so hoch, dass offensichtlich niemand der Besucher in der Lage war, das zu verarbeiten, was die ausgestellten Künstler verarbeiteten. Ziemlich zombiehaft bewegten sich große Menschenströme durch die langen Gänge. Mein Fazit: Die Mischung aus Reizüberflutung und schlechter Luft knippst Menschengehirne verlässlich aus. Kofi und ich entschieden uns den konspirativen Tipps zu folgen und wir machten uns auf den Weg zum Ottoneum. Dort angekommen stellte Kofi fest, dass er seine Eintrittskarte wohl irgendwie verloren hatte, auf dem Fußmarsch. Aber kein Problem, Weltbürgern wie ihm wird immer gerne Zutritt gewährt, ob mit oder ohne Karte. Nach ein paar Metern befanden wir uns in einem Raum, in dem eine Videoinstallation epischen Ausmaßes lief. Verteilt auf zwei Videoleinwänden, beide mehrere Dutzend Quadratmeter groß, war ein Mensch zu sehen, der mit geflochtenen Tiermasken im Urwald umherstapfte. Passend zum jeweiligen Geschöpf das er verkörperte, führte er einen rituellen Tanz auf. Beeindruckend war nicht nur das Naturschauspiel, sondern auch die Auflösung der Videobeamer. Ich ertappte mich dabei, wie ich versuchte das Fabrikat der bildgebenden Medien auszumachen. Leider vergeblich. War das vielleicht die erste Vorstellung in voller 4K Auflösung, die ich hier erlebte? Bei aller Andacht für die atemberaubenden Naturaufnahmen, die bei ihrer Ursprünglichkeit, auch die Unfähigkeit des Menschen thematisierten, selbst nur ein Teil der Schöpfung zu sein – schon durch die Gabe des abstrakten Denkens und der Beherrschung von Technologie – muss ich einfach sagen, dass 4K-Videos wirklich, wirklich superscharf sind.

Mechanik

Gemeinsam sitzen Hasi und ich in ihrem neuen Atelier. Besuche in Ateliers sind etwas besonderes. Kunst ist immer da, wo etwas besonders ist. In Ateliers wird vieles besonders. Sie drückt mir eine alte DDR-Fotokamera in die Hand. Behauptet, dass diese nicht mehr funktioniert. Ob wir die Kamera nicht auseinander schrauben könnten. Sie war im Baumarkt, jetzt kramt sie in ihrer Einkaufstasche, holt ein Set Uhrmacherschraubenzieher hervor. Noch ehe ich meine Einwände ausformuliert habe, beginnt sie schon an den ersten Schrauben des Gehäuses herumzudrehen. Es kostet mich etwas Überwindung ihr zur Hand zu gehen. Der Respekt für feine Mechanik ist noch in mir drin, auch wenn die Behauptung möglicherweise stimmt, dass der Fotoapparat nicht mehr richtig funktioniert. Überhaupt: Was soll das bringen diesen Apparat zu zerlegen, wo man sowieso nicht in der Lage wäre ihn wieder zu reparieren? Ach so: Alles reine Neugierde. Ich fange an klugzuscheißen, wie es sich für einen Mann gehört, der einer Frau dabei zusieht, wie sie mechanisches nicht versteht. Als ich sehe wie sie einen der kleinen Schraubendreher (ja, es heißt Schraubendreher, nicht Schraubenzieher) schräg ansetzt, um eine der winzigen Gehäuseschrauben loszudrehen, platzt es aus mir heraus: „Lass mich mal!“ Ich erkläre ihr, dass ein Schraubendreher immer genau in der Achse der Schraube rotiert werden muss, da sonst die Werkzeugaufnahme, in diesem Fall ein Schlitz, darunter leidet. Die meisten Schrauben lösen sich mit etwas Nachdruck. Allerdings will der obere Teil des Gehäuses, auf dem die Bedienelemente sitzen, seine eheähnliche Verbindung mit dem Unterteil noch nicht lösen. Ich vermute ein paar sogenannte Sprengringe, die sich in die Nuten auf den Achsen für den Filmtransport krallen. Ich bin überrascht, wie gut ich mich auskenne. Es tut mir Leid. Mechanik: Männerthema. Hasi wendet sich etwas angewidert ab und tut gelangweilt. So ein Mist! Die Emanzipation der Frau hat sich noch nicht in das Innenleben dieser Kamera vorgewagt. Vor ein paar Jahren erzählte mir eine Freundin wie sie früher mit ihrem Vater Bootsmotoren zerlegt hat. Das tat sie mit sichtbarem Stolz. Ich weiß noch genau, wie ich sie ein bisschen dafür beneidete. Jeder sollte mit seinem Vater Bootsmotoren zerlegen dürfen! Endlich entdecke ich die Sprengringe. Ohne richtiges Werkzeug ist das eine Riesenfummelei die Dinger abzukriegen. Wieder eine kleine Gelegenheit zum Klugscheißen: „Für Sprengringe, oder Wellensicherungsringe, wie man sie auch nennt, gibt es spezielle Sprengringzangen, die die Ringe bei Bedarf auseinanderdrücken, so dass man sie bequem von der Welle runterkriegt.“ Hasi schaut kurz von ihrer Lektüre auf. —Fehlt nur dass sie gähnt. Die nächsten Schrauben, die den Transporthebel am Gehäuse fixieren, schaffen wir zum Glück nur gemeinsam. Hasi klemmt einen von den Miniaturschraubenziehern nach meiner Anweisung in das Maul einer Rohrzange und ich drehe das Gehäuse langsam gegen den Uhrzeigersinn. Das Oberteil fällt endlich ab. Man sieht einen uhrwerkartigen Mechanismus, der das Auslösen und das Hochklappen des Spiegels steuert.

Ich schätze, dass das, was wir hier sichtbar wird, einen bestimmten Punkt in der Evolution der Technik markiert, den man als Industrienation mindestens erreicht haben muss. Alle wichtigen Herstellungsverfahren sind in diesem kleinen Gehäuse vereint. Feinguss, Stanzen, Fräsen, Biegen, Drehteile, ausserdem alle wichtigen Fügetechniken: Nieten, Kleben, Verschrauben, Sichern mit Federn, Splinten und Sprengringen und das alles mit einer Präzision, die Ehrfurcht gebietet. Die Spezialisten, die mit Schöpfungen wie dieser betraut wurden, sogenannte Feinwerktechniker, haben ab jetzt Gottstatus für mich. Sie alleine besitzen die unbekannten Mächte mit denen sie die feinmechanischen Miniaturwelten in Bewegung versetzen können. Entworfen wurde das komplizierte Innenleben im Übrigen noch ohne Computer. In hochdiffernzierten, arbeitsteiligen Prozessen. Mit Wissen, dass sich in Kreisen von Experten über Generationen hinweg weiterentwickelt hat. Das Gerät ist geschätzt 40 Jahre alt und eigentlich nichts besonderes, eher Mittelklasse. Das Herstellungsland der Kamera, die ehemalige DDR, verfügte nicht im Ansatz über die Produktionsbedingungen des Westens, trotzdem war die Herstellung dieses Geräts dort möglich. Nationen, die heute nicht in der Lage sind so ein Ding auch nur annähernd zur Serienreife zu bringen, sind auf der Landkarte der Technik nicht existent. Auch die DDR konnte nicht wirklich schritthalten, mit dem Fortschritt. Die kleine sozialistische Enklave ging in etwa zu dem Zeitpunkt unter, an dem in ihrem Inneren noch standhaft behauptet wurde, dass die zentralen Recheneinheiten der DDR-Computer Eigenentwicklungen wären. Ich überlege, ob die Karten für die Technologiebeherrschung durch die neuen Fertigungsverfahren der Industrie 4.0, oder vielleicht durch Informatik und Biotechnologie neu gemischt werden könnten und ob in Zukunft andere Spielregeln für den globalen Wettbewerb gelten werden. App gegen Apparat sozusagen. Wird es für Schwellen- und Entwicklungsländer jemals eine gerechte Teilnahme am globalen Markt geben? Schon fünf Jahre technologischer Vorsprung gelten heutzutage als uneinholbar. Ausserdem werden, dort wo es drauf ankommt, die geologischen Ressourcen von den technisch am höchsten entwickelten Ländern kontrolliert —sicherheitshalber. Noch geht ein tiefer Graben durch die Welt, noch stehen die Elfenbeintürme.

Lost in Music

Lost in Music  von Sister Sledge  ist ein Song den ich mehrdeutig interessant finde. Ich selbst war in meinem Leben auch eine Zeit lang lost in music.  Musikalische Wellen wurden zum Transportmittel meiner Identität. Vielleicht kommt der straighte Gesangstext dieses Discohits deswegen so gut bei mir an. Viele von euch werden mit Disco vielleicht nicht viel anfangen können. Das macht überhaupt nichts. In diesem Artikel geht es sowieso nicht um Geschmack, schon garnicht um Musikgeschmack. Geschmack kann sich ändern, Aussagen bleiben bestehen. Was könnte die Aussage dieses Songs sein? Was sagt der Begleittext zur Musik? Mal schauen… Ahh, ja ja. Das groovt schon beim lesen:

We’re lost in music — Caught in a trap
No turnin‘ back — We’re lost in music

We’re lost in music — Feel so alive
I quit my 9 to 5 — We’re lost in music

Have you ever seen — Some people lose everything
First to go is their mind — huh
Responsibility To me is a tragedy
I’ll get a job some other time, uh-huh

I want to join a band — And play in front of crazy fans
Yes, I call that temptation

Give me the melody — That’s all that I ever need
The music is my salvation

Klare Statements, worauf es im Leben eines Musikers wirklich ankommt. Eigentlich sind diese Zeilen ein Glaubensbekenntnis. Da wird nichts anderes behauptet, als dass man bereit ist alles für die Musik aufzugeben, auch den Brotjob. Wo findet man diese Worte sonst in dieser Direktheit?

Die Stimme, die diesen Text singt, gehört Kathy Sledge,  gemeinsam mit ihren älteren, backround singenden Schwestern Debbie, Joni und Kim bildete sie die Band Sister Sledge.  Als Viererformation waren die Sledge Schwestern Ende der Siebzigerjahre eine feste Größe im Discogeschäft. Debbie, Joni, Kim und Kathy landeten mit Hilfe der eingängigsten Rhythm Section der damaligen Zeit, bestehend aus Nile Rodgers  and Bernard Edwards,  mehrere Top-Ten-Hits. Schaut man sich auf Youtube  um, taucht unter anderem ein Live-Videomitschnitt aus der britischen Chartshow Top of the Pops  auf. Ein Schritt rechts, ein Schritt links, Hands Up, Drehung, Hipshake, Handclap, dabei bitte immer Lächeln. Weitere Videoquellen bestätigen den Verdacht: Man hatte sich eine Choreografie für die Playback-Performance ausgedacht von der man wirklich nie abwich. Vielleicht darf man sich niemals Videomitschnitte alter Disco-Hits ansehen, wenn man sich eigentlich für die Musik interessiert. Beim Sichten des Videomaterials überkommt einen, neben der Begeisterung für den guten Groove, immer auch ein wenig Beklommenheit, ob der statischen Performance der Musiker, insbesondere der Sänger. Das ist – oder war – aber natürlich dem Imperativ Disco  geschuldet.

Seit den frühesten Tagen des Funk  war die sogenannte Tightness  ein wichtiges Qualitätsmerkmal der gesamten Band, allem voran natürlich der Rhytmus-Gruppe. Tight  sein, heißt nichts anderes, als den Groove akurat durchzuhalten, ohne über die Songlänge an Genauigkeit zu verlieren. In einer Funkband sind alle Mitglieder irgendwie Slave to the Rhythm,  der Rhytmus, bei dem jeder mit muss, wird zur Pflichtausübung. Es gibt insofern keine Individualisten, keine Stars, keine echte Selbstbestimmung. Diven vom Vormat einer Gloria Gaynor  täuschen ein wenig darüber hinweg: Eine weitere unbequeme Wahrheit über Disco ist, dass die Geschlechterrollen stramm definiert waren. Es heißt Produzentenmusik, nicht Produzentinnenmusik. Die Vocals sollten kein Eigenleben entwickeln, weibliche Performerinnen in erster Linie textsicher und schön anzuschauen sein. Worin liegt dann die Faszination dieser Musik? Die Antwort ist zugleich einfach und kompliziert: In der Selbstaufgabe. Die ständige Wiederholung des Themas und die monotone Wiederkehr des Beats ermöglichen es, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren  —beim Tanzen. Scheinbar ist etwas im Wesen von uns Menschen angelegt, das möchte, dass der Beat immer weiter geht. Möglichst ohne Unterbrechungen. Dieses menschliche Urverlangen nach rhytmischer Wiederholung fällt glücklicherweise mit der Fähigkeit von Automaten zusammen, Vorgänge besonders gut wiederholen zu können. Wahrscheinlich konnte sich Disco nur mit Hilfe von Technologie weiterentwickeln. Erst wurden sie von Kraftwerk besungen, dann kamen die Musikroboter wirklich: In Form von Drum Machines  und Samplern. Disco wurde unwiderrufbar zu House und Techno. 

Die Botschaft des Kraftwerksongs Wir sind die Roboter  ist im Grunde identisch mit der Textaussage des Sister Sledge-Songs. We´re lost in Musik,  das klingt bei der sechzehnten Wiederholung so wunderbar mechanisch, dass ich fast ein bisschen enttäuscht war, als ich das Promovideo des Songs zum ersten Mal sah. Ich stellte mir beim Hören des Musikstücks im Radio nämlich immer vor, wie die Interpretinnen roboterhafte Bewegungen zur Musik machten. Kühl und sexy. Auf mich wirkte die Live-Performance der Sledge Schwestern bei Top of the Pops,  noch viel zu organisch. Ich wollte so gern schwarze Soulroboter sehen. Tippt man bei Youtube  »Black Soul Robots« ein, gelangt man zu Videos der Black Eyed Peas  (Imma Be Rocking That Body) und von Beoncé  (Single Ladies).

Fortsetzung folgt.

 

 

Designausstellung I

Denke ich an Holland, sehe ich die Bilder der alten Meister, die Schiffe beim Auslaufen zeigen, die endlose Weite einer Landschaft die quasi fießend ins Meer übergeht. Ich habe dabei den Geschmack von Karamelwaffeln und Spekulatius-Brotaufstrich auf der Zunge, beides bedeutende niederländische Erfindungen, neben Coffeeshops und Maasdamer Käse. Jedoch muß ich auch an weitaus weniger schöne Dinge denken, etwa an Frank Rijkaard der Rudi Völler während der WM 1990 in die Wolle rotzt. Tut mir leid, liebe Holländer, aber ich habe diesen Vorfall, den ich live am elterlichen Fernsehgerät mitverfolgen mußte, noch nicht vergessen können. Es waren Szenen, die sich im mein damals noch junges Gehirn eingebrannt haben, die ich leider nicht unseen  machen kann. Aber weiter im Text: Der Holländer beherrscht beides gleich gut: Pragmatismus einerseits und unkonventionelles Denken andererseits. Wer käme sonst auf die Idee einen Landstrich bewohnbar zu halten, der eigentlich unterhalb des Meeresspiegels liegt. Beides, Pragmatismus und Nonkonformität sind die Essenz guter Gestaltung. Kein Wunder also, dass irgendwann auch das sogenannte Dutch Design auf der Landkarte des guten Geschmacks auftauchte. Bis man das Städtchen Eindhoven auf der Landkarte findet, muss man allerdings mit dem Finger eine Weile lang suchen. Eindhoven war einst ein wichtiger Sitz der Elektronik-Branche in Europa. Kurz bevor japanische Branchenriesen den gesamten Mikroelektronikmarkt schluckten, entschied man sich bei Philips die Produktion nach Asien zu verlegen. Das führte zum Leerstand der ehemaligen Produktionsstätten in dem kleinen Örtchen. Da man dort auf soviel Industriebrache keine Lust hatte, entwickelten die findigen Holländer eine Art Strukturreformprogramm mit Schwerpunkt Design. Die ehemaligen Werkshallen wurden nach und nach zu Werkstätten kleiner und größerer Designbüros. Es ist in diesem Sinne nur konsequent, dass man in Eindhoven einmal im Jahr die Dutch Design Week veranstaltet, um die Welt in Kenntnis zu setzten, dass dort in den geräumigen Lofts interessante Dinge passieren. Mein Weg ins flache Nirgendwo führte mich zunächst per Bahn nach Köln, von dortaus ging es mit einem Bus weiter, meine Reise endete fast direkt vor der Kaderschmiede der holländischen Gestalterszene, der Design Akademie Eindhoven,  ebenfalls in einem umgenutzten ehemaligen Verwaltungsgebäude von Philips beheimatet. Mein kleiner Rundgang durch die Welt des Dutch Design beginnt genau hier.

Die Schüler dieser Ausbildungsstätte waren fleißig, überall in den hohen Räumlichkeiten, sind Gegenstände zu entdecken, die von Tatendrang und Eifer durchdrungen sind. Erstmal ankommen. Eine Tasse Kaffee mit Karamellwaffel später, nehme ich die Erzeugnisse der Absolventen unter die Lupe. Ganz egal, ob man nun aufblasbare Fahrräder braucht, oder Sitzmöbel aus marinem Material, geflochtenes Kletterseil als Stauraum für Krimskrams oder selbstgemachte Verbinder, um aus dem Holz-Imitat von Ikea etwas sinnvolles zu bauen: Hier weht der Geist gestalterischer Unbefangenheit. Nachdem eine Maasdamer-Stulle – als kleine Stärkung – ihren Weg in meinen Verdauungstrackt gefunden hat, gibt es eine kleine Führung durch die Produktionsstätte des bekannten Designers Piet Hein Eek. Bekannt wurde Eek mit einem Upcycling-Projekt: Stühle aus alten Fensterrahmen. Mittlerweile will anscheinend jeder Holländer auf so einem Sitzmöbel sitzen, weshalb in ganz Holland alte Fensterrahmen aufgetrieben werden müssen, um das Geschäft am laufen zu halten. In einer Halle ist zu beobachten, dass auch während der DDW die Fließbänder nicht stillstehen. Akribisch werden die Fensterrahmen zu drei mal drei Zentimeter großen Würfeln zersägt. Diese werden zu Beistelltischen verleimt und anschließend großzügig mit Epoxidharz übergossen. Um den Eindruck von Nachhaltigkeit zu erwecken, wurden mehrere Dutzend der leeren Harzeimer zu Skulpturen geschichtet. Zeit für richtiges Essen: Zum Glück wird hier überall Streetfood serviert, um einmal im Jahr eine kleine finanzielle Reserve zu bilden. Weiter gehts zum Hauptschauplatz: Den mächtigen ehemaligen Philips Maschinenhallen am Stadtrand. Die schiere Fülle von Artefakten dort macht einen ganz benommen. Immer wenn zu viel um mich herum los ist, werde ich ziemlich müde. Ich nehme auf einem wasserstrahlgeschnittenem Blechmöbel Platz und fange an zu dösen.

Designausstellung II

Sanft gleite ich ins Traumland, das Stimmengewirr um mich herum wird leiser und leiser. Vor meinem inneren Auge sehe ich wie sich die Werkshallen von Philips wieder mit den Original-Maschinen füllen. Emsige Arbeiter stellen ein Kasettenradio nach dem anderen her. Ich fühle mich, bei soviel Betriebsamkeit, richtig wohl hier, obwohl es nicht gut riecht in meinem Traum, durch Kunststoffverarbeitung und Zinnbad. Plötzlich löst sich das Fabrikationsszenario auf und es erscheinen Heerscharen von Jungdesignern, die damit beginnen, die eben frisch hergestellten Kofferradios auseinanderzunehmen, die Gehäuse zu schreddern und das Granulat zu heißen Kunststoffwürsten zu verarbeiten. Die Würste formen sie zu Sitzmöbeln, die unbequem aussehen und zu großen Lampenschirmen, die die Glühlampen fast komplett umschließen, sodass sie fast kein Licht mehr herauslassen. Dann wird es plötzlich extrem heiß in meinem Traum. Eine Art Glutlawine überrollt das Szenario. Ich flüchte mit den Designern ins Freie. Plötzlich ist alles weg. Der pyroklastische Strom, die Fabrikgebäude, die Designer. Unter meinen Füßen nur Staub. Als ich um mich schaue, sehe ich Menschen mit Tropenhelmen und Expeditionsoutfits. Manche von ihnen hocken in einer Grube und legen mit feinen Pinseln das sandige Erdreich frei. Ich gehe zu einer dieser Ausgrabungsstellen, finde mich selbst mit einem Pinsel in der Hand dort wieder. Ebenfalls damit beschäftigt dem Boden seine Geheimnisse zu entlocken. Etwas wird unter meinem Pinsel sichtbar. Etwas metallisches. Vorsichtig ziehe ich daran. Eine Brosche. Die feine geometrische Struktur verrät mir, dass es sich um einen parametrisch gestalteten, 3D-gedruckten Körper handelt. Bronce. Mir war noch garnicht klar, dass man Bronce 3D-drucken kann. Ich buddle weiter im Sand. Da ist noch etwas, es sieht aus wie der Rand eines Trinkgefäßes. „Späte Designzeit!“ Höre ich jemanden hinter mir sagen. „Wie…?“ „ Ja, das erkennt man an der Regelmäßigkeit des Bandzuges, das ist maschinell entstanden.“ Ich ziehe den Gegenstand aus dem Sand. „Zeigen sie mal her!“ Zögerlich drehe ich mich zu der Gestalt mit dem Tropenhelm um. „Nur zu!“ Lord Tropenhelmchen greift sich die Vase. „Schauen sie mal! Hier sieht man es ganz deutlich, viel zu gleichmäßig für Handarbeit, das ist 21. Jahrhundert. Die fanden das damals originell —handwerkliche Techniken auf CNC-gesteuerte Maschinen zu übertragen.“ „Wer die? “ „Na, die Designer von damals. Das war ja eine Epoche, die eigentlich mit Konsumprodukten übersättigt war. Wir rätseln allerdings noch darüber, was genau hinter der plötzlichen Blüte der Holländischen Designzeit  in der spätklassischen Phase steckt? Wir wissen nicht, ob es unbekannte Mäzene waren, die diese Handwerkskunst förderten, oder ob es eine von wirtschaftlichen Kreisläufen entkoppelte Wertschöpfung gab, die quasi zum Selbstzweck diese Artefakte produzierte? An keiner anderen Fundstelle außerhalb der Asche-Lawine, sind ähnliche Fundstücke aufgetaucht. —Tja, Früher war alles einfacher, da reichte ein Faustkeil, eine Amphore, ein Steigbügel oder ein versteinerter Apple Macintosh um die Welt zu erklären.“ Auf einmal fängt alles heftig zu wackeln an. „Das ist bestimmt ein Nachbeben! Nichts wie weg hier!“ Irgendetwas zieht an meinem Arm. Ich schlage wild um mich. „Mann bist du jetzt völlig behämmert!? Jetzt sind wir durch halb Europa gefahren und hast einen Pipedream,  oder was!?“ Ich habe die Augen wieder offen, schnappe noch nach Luft. Timo, mein Mitfahrer sitzt vor mir. Ich blicke um mich. Keine Glut, keine Asche, kein Staub mehr. Alles sieht wieder aus wie Jetztzeit. „Oh man, Timo! Ich bin wohl schon wieder einfach weggeknackt. Sorry, passiert mir einfach manchmal.“ „Na dann komm jetzt! Ich hab da hinten einen Typen entdeckt, der hat einen Industrieroboter zu einem Riesen-3D-Drucker umgebaut, der macht damit Lampenschirme und ganz coole Stühle aus altem Kunststoff.“