Wellness

Auch ich blicke manchmal in den Spiegel. Und was sehe ich? Die ständig älter werdende Hülle meines Körpers, die im reflektierenden Glas unseres Badezimmerhängeschranks erscheint und mich fragend ansieht. „Was ist denn das schon wieder für eine bescheuerte Frisur?“ Naja —eine Frisur wohl nur noch indirekt. Vielmehr das, was vor Monaten mal ein identifizierbarer Haarschnitt war. Jetzt ist da oben, auf mir drauf, nur noch Wolle. Experten des Friseurhandwerks loben immer wieder die Dicke meiner Haarpracht. Dieser große Haardurchmesser hat aber ein spezifisches Eigengewicht, das nach einer Weile der friseurmäßigen Abstinenz sogar spürbar wird. Ausserdem vollführe ich mit meinen Haupt irgendwann immer so einen Schlenkermove, der mir die Haare aus dem Gesicht befördern soll, und von dem meine Freundin Hasi immer behauptet, dass er total peinlich hipsterhaft ausieht. Wieder wiege ich meinen Kopf von links nach rechts, um die Haare aus meinem Blickfeld zu bekommen. —Die Symptome häufen sich. Ich sollte mal wieder einen Friseur aufsuchen.

Bei uns um die Ecke gibt es ein vielbefahrene vierspurige Strasse, die neben ein paar Läden für den täglichen Bedarf auch eine ganze Reihe Friseurgeschäfte beherbergt. Möglicherweise, ich vermute mal, ist es sogar die Straße mit der höchsten Friseuladen-pro-Quadratmeter-Dichte westlich von Teheran. Es gibt zwar ein paar deutsche Städte, die den Titel »Stadt der Friseure« für sich beanspruchen (unter anderem bedeutende Metropolen wie Ravensburg und Fürstenfeldbruck), aber nirgendwo sonst fallen Haare in solchen Mengen aufs Friseurkehrblech wie hier in der Gegend. Ich habe selbst auch schon einige der Salons durchprobiert, aber kaum denke ich alle zu kennen, gibt es schon wieder neue Neueröffnungen. Wie nun jeder weiß, dem regelmäßig die Haare länger wachsen, ist der Akt des Haarschneidens ein sensibler Bereich in dem sich menschliche Bedürfnisse, handwerkliches Geschick und modisches Selbstbild begegnen. Frisuren sind Vertrauenssache. Am besten findet man jemanden aus der Friseurzunft, zu dem man eine längere Beziehung, die auf gegenseitiger Kenntnis beruht, aufbauen kann. Ich hatte mal so Jemanden, dem ich die Formgebung meiner Haare gerne anvertraute. Selten aber regelmäßig. Vielleicht zu selten, denn irgendwann war der Laden nicht mehr da. Aufs Land umgezogen, munkelte man mir ins Ohr. Weil dort die Umsätze besser seien —aufgrund der hohen Kundenbindung. Gerade auf den Dörfern ist ein Friseursalon oft die soziale Schaltstelle. Für ältere Dorfbewohnerinnen ist es eine Pflicht sich mindestens einmal pro Woche die Haare ondulieren zu lassen, da sie sonst verpassen würden was hinter Nachbars Hecke so alles passiert.

Endlich habe ich wieder Hoffnung auf meine eigene längerfristige Kundenbindung. Naiv, wie ich bin, frage ich nach einem Sofort-Termin? Nein erst morgen. „Versuchen sie es einfach beim Nachbarfriseur“, sagt mir eine nette Friseurin aus einem Salon, den ich spontan besuche. Tatsächlich! Nebenan ist noch ein weiteres Friseurgeschäft, das ich noch nicht kenne. Als ich das Geschäft betrete, entfaltet sich eine kleine Welt aus schönen Aromen, sanfter Musik und stilbewußter, wohnzimmerartiger Inneneinrichtung. Schön hier drin. Aha, ich soll mich noch zehn Minuten gedulden, bis Mareike kommt. Kein Problem. „Kaffee oder Cappuccino?“ Cappuccino. Im Hintergrund läuft eine Downbeat-Coverversion von Moloko´s Sing It Back. Mein Gehirn behandelt die Kombination aus Hintergrundmusik und fehlenden Geschlechtsgenossen, als ein Indiz dafür, dass das bisschen Haare schneiden teuer werden kann, in dieser schmeichelhaften Atmosphäre. Mareike stellt sich mir vor. Auch sie ist von sehr angenehmer Erscheinung. Anfang Fünfzig, sehr gepflegt, warme Stimme. „Noch ein Cappuccino?“ Nein Danke. Ob sie mir die frischgewaschenen Haare waschen darf? Aber sicher. Es ist, ich kann es garnicht genau beschreiben, als ob sie bei der obligatorischen Kopfhautmassage garnicht meine Kopfhaut massiert, sondern meine Gehirnwindungen. Sanft streichelt Mareike meine struppigen Gedanken glatt und überzieht tieferliegende Schichten meines Bewußtseins mit einer undefinierbaren Harmonie. Mein Körper verliert innerhalb weniger Sekunden sein Gewicht. Ich fange an zu schweben. Irgendwann sitze ich wieder im Friseurstuhl. Die passende Frisur hat sie inzwischen auch noch hingezaubert. Keine Ahnung wie sie das mit mir im Schwebezustand hingekriegt hat. Aber das ist Nebensache. Natürlich komme ich wieder. Die 35 Euro für einen Männerhaarschnitt finde ich mehr als angemessen und gebe noch zehn Euro Tinkgeld.

Von Särgen und Tränen

Vor ein paar Jahren fielen mir besondere Lautsprecher in die Hände. Seitdem gibt es kein Entrinnen mehr für mich und meine unterdrückten musikalischen Gefühle. Das ist wirklich schlimm, denn immer müssen Tränen dabei fließen. Wollt ihr die ganze mysteriöse Geschichte? Hier ist sie:

Es ist gut, wenn man als Paar feststellt ähnliche Interessen zu teilen. Sehr schön ist es auch, wenn es dabei eine gewisse Schnittmenge in Sachen musikalischer Vorlieben gibt. In einem frühen Stadium unserer Beziehung gingen Hasi und ich dann und wann gemeinsam in Secondhand-Läden Platten shoppen. Nach nur kurzer Zeit füllte sich ein heimischer Plattenregalmeter mit gebrauchten Siebzigerjahre-Scheiben. Auf einer unserer gemeinsamen Shoppingtouren in einem Trödelladen, musste ich mir kurz die Zeit damit vertreiben das restliche Sortiment zu inspizieren, da Hasi im Eifer ihrer Sammelleidenschaft einen Stapel von mehreren Dutzend alter Scheiben vor der einzigen Abhörmöglichkeit angelagert hatte. Während meiner Runde duch das kleine Ladenlokal, entdeckte ich zwei mannshohe Standlautsprecher ohne Firmenlogo. Gekleidet in angestoßenes Nußbaum-Funier, an einer Seite von der Sonne ausgeblichen, waren sie wirklich keine Schönheiten. Mein Nachfragen über die Herkunft der Geräte brachte keine weiteren Erkenntnisse. Schnell zog ich mein Interesse wieder zurück. Was sollte ich auch mit den komischen Dingern anfangen, ich hatte ja bereits ein paar ordentliche Lautsprecher zuhause.

Zu spät. Zwei Tage danach stand ich wieder in dem Laden um die Schallwandler unbekannter Herkunft pobezuhören. Trotz einiger Verrenkungen, die der Ladenbesitzer auf sich nahm, um die Klangquellen im Sarg-Look mit anderem alten Musikequipment zu verdrahten, war ich eigentlich nicht begeistert von ihrem Sound. Zu diesem Zeitpunkt war mir der Klangeindruck aber fast schon egal. Das lag daran, dass die Musikschränke auf eine unbestimmbare Art meine innere Vorstellung von Lautsprechern spiegelten und mich deshalb magisch anzogen. Ich bezahlte nach kurzem Handeln und vereinbarte sie abzuhohlen, sobald ich einen Umzugswagen dafür frei hätte. Die Klangtruhen brachten nämlich ein gewichtiges Problem mit sich: Jede der Boxen wog, laut Angabe des Ladenbesitzers, so um die 60 Kilo. Das Umzugsauto für den Umzug in unsere erste gemeinsame Wohnung, schien die erstbeste Möglichkeit für den Abtransport. Mein Einstieg in das audiophile Hören war ein echter Sprung ins kalte Wasser, bis auf das hohe Gewicht hatte ich wirklich keine Ahnung was mich erwartete. Über Umwege fand ich heraus, dass es sich bei den Lautsprechern um ein Selbstbauprodukt eines renommierten französischen Herstellers handelte. Die 400 Euro, die ich investierte, waren möglicherweise ein echtes Schnäppchen. Als nach dem geglückten Transport das Paar Boxen und auch das restliche Mobiliar endlich in unserer neuen Wohnung stand, machte sich beim ersten Soundcheck im neuen Zuhause erneut die Ernüchterung breit. Ausgerechnet die Mittelton-Chassis, die als seltene Juwelen gehandelt werden, waren defekt. Aus irgendeinem schicksalhaften Grund verkaufte aber genau zu diesem Zeitpunkt jemand zwei dieser Raritäten auf einem Kleinanzeigenportal. Stichproben ergaben, dass dieses Angebot bis zum heutigen Tag einmalig war. Da mir der Trödelhändler den Differenzbetrag für den Austausch erstattete, stieg in mir erneut die Vorfreude für ein neues Testhören auf. Endlich komplett bestückt —wieder Ernüchterung. Jetzt mit den Mitten klang alles irgendwie zu … mittig. Ich lernte, dass auch ich mich zuerst auf die Suche nach den passenden Audio-Komponenten machen musste. Drei verschiedene alte Verstärker, alle in der Preisklasse um die 70 Euro, waren kurz zu Gast in meiner sogenannten Sigalkette, zwei davon gingen wieder. Die paar Euros, die ich investierte, sind natürlich ein Witz im Vergleich zu den Summen, die normalerweise von dieser Leidenschaft verschlungen werden. Nicht selten fließen in audiophilen Haushalten Gelder in handverlötete Röhrenendstufen und Masselaufwerke, die den Wert eines Eigenheims leicht übersteigen können. Man muss im Leben eben Prioritäten setzen. HighEnd-Liebhaber sind eine spezielle Gattung. Meistens sind es Leute mit elektrotechnischem Wissenshintergrund oder einem Hang zur Esoterik, oder einer Mischung aus beidem. Ein gewisses Maß an übersinnlichen Fähigkeiten wird in diesem Metier vorrausgesetzt: Natürlich kann man hören, ob der Strom sauber ist und selbstverständlich haben Anschlusskabel einen großen Anteil am Klang einer Anlage!

Wo jetzt der Unterschied zum Hören auf einer ganz gewöhlichen Stereoanlage liegt? Das läßt sich leicht beantworten: Ich muss regelmäßig rumheulen wenn ich bestimmte Musik auf diesen besonderen, alten Lautsprechern höre. Dann kullern mir echte Männertränen die Wangen herunter. Das liegt daran, dass diese abgeschabten Dinger die Musiker erst in unsere Wohnung holen, und dann direkt in mein Herz. Das ist mir manchmal wirklich unangenehm. Ich will nicht so oft die Kontrolle über meine Gefühle verlieren. Deswegen benutze ich sie selten, diese kostbaren Audiomöbel.

Anspieltipp:

Marcia Ball – Louisiana 1927

(Tränen auch auf durchschittlichen Lautsprechern möglich)