Fantasie ist eine natürliche Begabung. Sie suggeriert uns Erinnerungen, die sich zu einem gewissen Teil mit diffusen Klischeevorstellungen mischen. Sie spiegelt unterbewußt Ereignisse, die den Berichten anderer fantasievoller Menschen enstammen, oder in der sorgsam konstruierten Realität von Musikvideos, Filmen und sozialen Medien stattgefunden haben.
Meine persönliche Fantasie der perfekten Party spielt in einer möglichst großen Stadt. Einer echten Metropole wie London oder Paris. Ich bin unterwegs in Begleitung von mysteriösen Persönlichkeiten, deren innersten Geheimnissen ich in dieser schicksalhaften Nacht auf die Schliche kommen werde. Ich kann den Atem der verschwendeten Jugend deutlich spüren. Ein epochales, einzigartiges Ereignis reiht sich an das andere. Die Party fängt schon in dem kleinen Laden an, in dem wir uns mit Spirituosen-to-go eindecken und in dem wir uns gegenseitig unbekümmert mit dem Inhalt von Chipstüten und mit Süßwaren bewerfen. Meine Begleiter und ich führen wunderbar abgründige Gespräche über existentielle Themen mit vielen intimen, gemeinsamen Details. Taxifahrten durch die pulsierende Stadt werden unterbrochen von einzigartigen Events an einzigartigen Locations. Zwischendurch entdecken wir ein unbewachtes Freibad und machen Arschbomben vom Zehnmeterbrett. Die Episoden, dieser autografischen Geschichte wirken wie eine schier endlose Aneinanderreihung aus Spass, Exzess, und Verrücktheit. Alles ist erfüllt von einem seltsamen Schimmer, einem Funkeln, einem Glanz wie aus einem Regenbogen-Videofilter, die Konfetti und Farbwolken sprühen aus jeder Sekunde dieses einzigartigen Abends. Die Nacht der Nächte wird auf dem Dach eines Gasometers zuendegehen, mit dem Ausblick auf die erwachende Stadt und auf das fantastische Leben das noch vor uns liegt, eingerahmt von diesen lila getönten Wolken im Hintergrund. Wow!
Realty Check: Der beste Nachbar aller Zeiten hat mich zu seinem Junggesellenabschied eingeladen. Alle Beteiligten sind deutlich über dreißig, alle entstammen sie dem bildungsbürgerlichen Milieu, den Blick fest auf sorgenfreie Jahre bis zum Renteneintrittsalter gerichtet. Wir beginnen den Tag der Tage unspektakulär mit etwas Fußball und Lagerfeuerliedern im Park. Danach geht es ab auf die Kartbahn. Ich habe Schiss, befürchte aus der erstbesten Kurve zu fliegen, bemerke Wirkungen von alkoholhaltigen Kaltgetränken, die während der Freiluftaktivitäten konsumiert wurden. Die Befüchtungen treten nicht ein: Befeuert von infantiler, alkoholisierter Enthemmtheit, fahre ich die Bestzeit. Danach geht es in einen amerikanischen Diner. Es läuft Fussball auf der Großbildleinwand. Meine Manschaft verliert. Ich führe Gespräche, die nicht an diesen Ort gehören —über die Vorzüge der veganen Ernährung, und darüber, dass die Scheißbayern schon wieder mit viel Bayerndusel ein Spiel unverdient gewonnen haben. Ich hätte den lauten Torjubel eigentlich bemerken müssen. Egal. Es geht zu Fuß weiter in die nächstgelegene Bar. Das erste, wirklich sehr leckere Pale-Ale meines Lebens fällt einem einem Trinkspiel namens Busfahrer zum Opfer. Wir wechseln den Laden. Landen in einem ziemlich bescheiden eingerichteten Tanzlokal mit komischer Mainstreammucke. Keine Spur von Einzigartigkeit. Bevor sich mehrere Runden Shots über mein Bewußtsein ergießen, merke ich noch an, dass er bei mir meistens ziemlich schnell und unerwartet eintritt, der Verlust von Selbstkontrolle unter der Einfluss von zuviel Alkohol. Fünf Minuten später finde ich mich auf der Tanzfläche wieder. Es läuft eine Mischung aus Afrobeat und tanzbarer Chartmucke. Ich finde die Musik irgendwie geil. Tanze anschließend jeden Move, den ich draufhabe, inklusive spezieller Bodeneinlagen: Den Wo-sind-meine-Kontaktlinsen-Move, den Jumping-Elvis, den Cowboy-Hipshake-mit-Lasso, den I´m-a-Filmmaker-You´re-the-Actor, ich versuche mich in Elektrik-Boogie, Clowning und Krumping. Es wird immer wilder, die Partycrowd geht ziemlich gut ab. Ein paar hübsche Mädels sind auch zu sehen. Sie wirken genauso belustigt von meinen Verrenkungen, wie meine Begleiter. In dem Laden gibt es einen Fernseher auf dem Afrobeat-Videos laufen, ich versuche die Protagonisten so gut es geht zu immitieren. Seitdem ich die Hemmschwelle für Peinliches so gekonnt übertanzt habe, sind auch die Jungs etwas lockerer geworden und rocken allesamt zu den übermassiven Techno-Afrobeats mit. Es wird ein Rausch der Sinne. Ich spüre, dass ich da bin, wo ich immer sein wollte —endlich am ersehnten Ziel: Inmitten von extrem netten Menschen und guter Musik, umgeben von kulturellen Artefakten, die ich nicht zu hundert Prozent durchschaue, die aber – was viel wichtiger ist – jede Menge Spaß verursachen. Ich habe einen Ehrenplatz bekommen, auf den Ungereimtheiten meiner Existenz, zwischen Spontanität und interessanten Widerspüchen, die mich neugierig machen —auf mehr Leben. Scheiß auf diese lila Wolken!