Arschbombe

Glaubt man Forschern, die sich mit der frühzeitlichen Entwicklung der Spezies Mensch befassen, ist der Aufenthalt in der Nähe von Gewässern ein ziemlich typisches Verhalten für unsere Gattung. Obwohl diese Theorie noch relativ neu ist (vorher wurden die Vorfahren der Frühmenschen als aufrechtgehende Steppenbewohner eingeschätzt), scheint sie auch aus der Beobachtung heutiger Verhaltensweisen heraus, mehr als plausibel zu sein. Meiner Freizeitforschermeinung nach, reicht ein Gang ins Freibad völlig aus, um die sogenannte Wat-Affen-Hypothese zu bestätigen. Bevor ich mich eingehender mit unserer äffischen Herkunft auseinandersetzte, dachte ich auch immer dass die nach aussen gewölbten Speckstulpen, die manch einen Menschenkörper so walrosshaft erscheinen lassen, eher ein modernes Phänomen seien. Die Paläobiologie dagegen, kann (auch ganz im Sinne der Wasseraffentheorie) rational und nüchtern erklären, warum es sich bei den Massen von Unterhautfettgewebe um eine evolutionäre Anpassung an den feuchten Lebensraum handelt. Wenn man so zum Drübernachdenken angeregt wird, ist alles sehr einleuchtend, denn Fett isoliert natürlich hervorragend gegen die Kälte bei der Bewegung im Wasser. Auch die nach unten geöffneten Nasen und die noch latend vorhandenen Schwimmhäute zwischen Zehen und Fingern, sollen Überbleibsel aus der nassen Frühphase des Menschen sein, genauso wie die Notwendigkeit des Watens in offenen Gewässern anscheinend der Ursprung unseres aufrechten Gangs ist. Mit diesem Wissenshintergrund macht plötzlich alles wieder Sinn. Ich drehe mich auf meiner Badematte um, und schaue mir die Großfamilie mit dem kruden Bodymass-Index, die neben mir ein Schwimmbadpicknick abhält, nochmal etwas genauer durch die Brille der Wissenschaft an. Hier an Land wirken sie noch etwas behäbig, aber gleich, sobald sie sich mit den notwendigerweise gut gefüllten Energiereservoirs im Unterhautgewebe in Richtung des Erwachsenenschwimmbeckens bewegen werden, wird sich das Bild ändern. Sie werden einigermaßen elegant und von der lästigen Schwerkraft befreit in ihre vertraute Wasserwelt gleiten. Sie werden auf dem Grund des Schwimmbeckens nach Muscheln und anderen nahrhaften Krustentieren tauchen, am Beckenrand nach vitaminreichem Meertang fischen und direkt unter dem Sprungturm kollektiv auf Jagt nach Fraßfeinden gehen. Noch während ich versuche meine restliche Vorstellungskraft zu bemühen, um auf die eine oder andere Beobachtung vorbereitet zu sein, schlägt ein ein vertikal fallender Menschenkörper mit dem Hintern zuerst in der Wasseroberfläche ein, die eben noch vor Krokodilen wimmelte. Scheinbar handelt es sich beim Sprung vom Dreimeterbrett um die unverzichtbare Hauptattraktion für junge Männer. Die Wasserfläche wird an diesem Nachmittag nicht mehr ruhig bleiben, in einer endlosen Abfolge von Sprüngen ins kühlende Nass. Als ich sehe wie oft meine Geschlechtsgenossen, wahrscheinlich auch aus Inponiergehabe heraus, ihre Körper mit vergeigten Schrauben und über- oder unterdrehten Flips quer ins Wasser hauen, fange ich an über den Sinn von Körperspannung und Koordination beim Turmspringen nachzudenken —und über das Jagen.

Waren Männer jemals in der Lage, ihre Sippen als erfolgreiche Jäger zu ernähren? Vieles deutet darauf hin, dass es die Menschheit höchstwahrscheinlich nicht bis hier ins Freibad geschafft hätte, wenn nicht die Frauen ihrerseits mit ihren Kenntnissen über pflanzliche Ernährung dafür gesorgt hätten, dass jeder etwas zu beissen hat. Ich habe mal so eine Urwaldvolk-Doku gesehen, auch da gingen die Männer auf die Jagt. Anders als man meinen könnte, spielten seltsame Männerrituale und halluzinogene Drogen, die tief im Dschungel eingenommen wurden, dabei eine große Rolle. Als die Jäger nach einer Woche ohne Beute und mit mächtig Kohldampf heimkehrten (den einen erlegten Affen hatten die Jungs gleich im Urwald gegrillt und gegessen), waren die starken Kerle heilfroh, dass die Frauen ein aus Wurzeln und Waldfrüchten bestehendes Willkommensmenü bereithielten. Meine Gedanken schweifen zurück ins gechlorte Wasser. Schwimmbäder sind natürlich nicht nur Orte für Artenforschung, sie sind wahrscheinlich der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Mir scheint es, als ob die Fähigkeit zu gegenseitiger Toleranz zunimmt, je voller ein Schwimmbecken ist. Egal ob nun Baba oder Papa, solange man mit den Kindern im gleichen Wasser planscht, ist die kulturelle oder soziale Herkunft egal. Den Fettreserven und Schwimmhäuten sei Dank.

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