Divensalat

Ein paar Tage ist es schon her, da waren wir als kleine Familie unterwegs. Raus aus der Parkgegend ins offene Land. Wie nun jeder weiß, haben Fahrten im Auto mehr Nachteile als Vorteile. Gerade das geteilte Schicksal der Autobahnbenutzung kann einen wirklich beklommen machen. Ständig rauscht die Landschaft an einem vorbei, ohne dass man viel mitbekommen würde, von den vielen interessanten Gegebenheiten, die längs der Fahrbahn existieren. Dauernd muss man sich darauf konzentrieren nicht zu schnell und nicht zu langsam zu fahren. Zusätzlich muss man ständig mit Unachtsamkeiten anderer Automobilisten rechnen. Es gibt Leute, die fahren Stundenlang hinter ihrem Lieblings-LKW her, um urplötzlich, scheinbar spontanen Impulsen folgend, doch mal die linke Spur auszuprobieren. —Just in dem Moment, in dem man nur noch eine Motorhaubenlänge Abstand zum Spontanspurwechsler hat. Das kann einen wirklich nervös machen, mit der Familie als Fahrgemeinschaft. Heutzutage gilt der Schulterblick mehrheitlich als uncool. Ausserdem scheint sie keiner jemals gelesen zu haben, diese kleine Bildunterschrift im Seitenspiegel: Objects in the mirror are closer than they appear. Am Fahrbahnrand von Autobahnen stehen seit einiger Zeit bebilderte Warnschilder. Als letzter Versuch (nach dem Fahrschulunterricht) die Vorbeieilenden für die Unwägbarkeiten des Autoverkehrs zu sensibilisieren. Das hat ungefähr die gleiche Wirkung wie Zigarettenpackungen mit Raucherlungennahaufnahmen. Jeder weiß um die Gefahren der automobilen Fortbewegung und des Rauchens —trotzdem fahren alle ihre Autos mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Gegend und schmeissen dabei brennende, waldbrandverursachende Kippen aus dem Fenster. Was jedenfalls unsere familiäre Fortbewegung betraf, konnte man angesichts des ständigen Herumfahrens auf schier endlosen Asphaltwegen kaum von Urlaub sprechen. Urlaub war eigentlich immer nur dann, wenn das Auto stillstand, was nicht so oft vorkam, da große Entfernungen überbrückt werden mussten. Grundbedürfnissen von Hund und Kind ist es zu verdanken, dass wir doch ab und zu etwas spannendes jenseits der großen Teerbahnen entdecken durften.

Das Unerwartete lauert oftmals dort wo ihm Besessene Unterkunft geben. Es gibt begeisterte Sammler von Kuriositäten an entlegenen Orten, die man nur durch mehrere verschachtelte Zufälle erreicht. Enthusiastische Ausüber von exotischen Gebräuchen von deren Existenz keine Tageszeitung jemals im Kulturteil berichten würde. Beflissene Pfleger von ulkigen Spleens, die abseits des Mainstreams leben und interessierten Gästen bereitwillig Zutritt zu ihren selbstgemachten Fürstentümern gewähren. Besuchern ihrer Miniaturwelten und Paralleluniversen sind andauende und nachhaltige Fragezeichen garantiert. Vorrausgesetzt man gelangt zu ihnen. Ich für meinen Teil, habe die Bildunterschrift im Seitenspiegel nicht ignoriert. Ich habe den Wagen gewendet um zu den Objekten zu gelangen, die entfernt wirkten, aber eigentlich nahe lagen. Da war zum Beispiel dieser übermansshohe hölzerne Scherenschnitt mit der Kontur eines Elchs, der für einen kurzen Moment in meinem linken Seitenspiegel erschien. Dem Holzelch gefolgt, fanden sich meine Familie und ich in einer Art Blockhaus wieder. Als Imbis wurden ehemalige Bewohner des angrenzenden Wildgeheges serviert. In Form von Bratwurst. Elch oder Bison. Kurz darauf, der Bisongeschmack war noch nicht ganz von meinem Gaumen gewichen, saßen wir und ein paar andere Elchinteressierte auf einem Pritschenwagen, der rumpelnd durch die Mecklenburger Savanne rollte. Begleitet von den Fachkundigen Ausführungen eines Selfmade-Zoologen ging es von einem Gehege zum nächsten. Die Sonne brannte sich ihren Weg zu tieferen Hautschichten und hinterließ bei nahezu allen Mitgleidern unserer Kleinfamilie rötliche Spuren. Der Kopf schwirrte mir schon ein wenig. Das monotone Gerumpel, der kalauernde Fahrer, die seltsamen Wesen. Der Horizont der Naturbeobachtung verschob sich zusehends. Es war nicht mehr ganz eindeutig wer hier wen beäugte, wir die Natur oder die Natur uns. Eben war das Ur-Rind noch Bratwurst, jetzt sieht es mir angriffslustig in die Augen. Auch das heimische Dammwild ist von imposanter Erscheinung, wenn es einen so ganz aus der Nähe betrachtet. Bei dreißig Grad im Schatten hat der junge Sechzehnender zum Glück keine Lust mehr auf Headbanging: Geweih zu schwer. Die Worte des wildkundigen Fahrers werden zu einem wirren psychedelischen Klangteppich. Als ich mich noch frage ob ich den ersten Sonnenstich meines Lebens spüre, kommt das nächste Gatter in Sichtweite. Ich reibe mir die Augen. „Aber das sind doch Menschen!?“ „Ja, ganz recht! Seltene Gattung: Diven.“ Die anderen zahlenden Gäste bleiben unbekümmert. Als wir näher heranrumpeln höre ich sie singen. Arpeggios. Das sind Akkorde die zu einzelnen Noten zersungen werden, so wie man das aus der Gesangsausbildung kennt. La La Lalalalala. Seltsam. Die Exemplare, die hier gehalten werden, sind anscheinend älteren Semesters, die Haare schütter, die Stimmen wackelig. Alle tragen sie Abendgarderobe mit unpassendem Schuhwerk, alle formen sie mit großen Gesten die einzelnen Töne ihrer Darbietung. Als wir vor dem Divengehege zum Stehen kommen bricht unter ihnen ein Wettstreit um die Aufmerksamkeit des Publikums aus. Teils Arien singend, teils jodelnd stürmen sie mit großer Pose auf den Wagen zu. Der erfahrende Wildparkführer bemerkt die nahende Gefahr sofort: „Halten sie sich die Ohren zu und versuchen sie auf keinen Fall mitzusingen!“ Schnell fährt er den Rumpelwagen weiter zum angrenzenden Ferch mit den Albino-Kängurus. Glück gehabt. Die Diven werden wieder leiser.

Ist die echt?

Neulich im Café. Immer wieder fällt mein Blick auf ihren linken Unterarm. Ich muss darüber nachdenken welches Wort am zutreffendsten beschreibt was ich sehe. Klunker? Möglicherweise nicht ganz wortfein, dieser Ausdruck. Geschmeide? Passt ebenfalls nicht. Vielleicht könnte der Geist von Liz Taylor an dieser Stelle mehr Auskunft geben. Die hatte noch richtig Ahnung von wuchtigen Zierelementen. Ich schaue wieder kurz zu ihr rüber. Mit ihrem schwarzen Catsuit und der runden Hornbrille hat sie Ähnlichkeit mit einer anderen Hollywoodgröße. Sie wirkt ein bisschen wie eine kriminellere Ausgabe von Audrey Hepburn. Wie eine Audrey die sich nicht damit abspeisen ließ mit einem Kaffee im Pappbecher vor der Schaufensterscheibe von Tiffany´s  rumzulungern. Immer wieder diese aufdringlichen Wortfetzen. Das Zuhöhren als Unbeteiligter an einer fremden Konversation erfordert die volle Konzentration! Eben hat sie noch etwas gesagt wie: »Meine Motivation ist die Liebe zum Objekt.« Was den Tatverdacht des Juwelenraubs noch erhärtet. Mein Blick haftet noch immer an dem Geschmeide. Eigentlich doch ein ganz passender Ausdruck. Bei dem »Geschmeide« handelt es sich um eine Armbanduhr mit Panzerarmband, scheinbar komplett aus Rotgold geschmiedet. Sicherlich eine gute Geldanlage, denke ich mir. Gold, Silber, Platin: Von allem sollte man etwas im heimischen Geldschrank liegen haben, oder es dicht am Körper mit sich führen. Ob ich will oder nicht, ich merke wie mein Blick schon wieder den Wertgegenstand fixiert. In der Werbebrache nennt man solch zwingende Hingucker einen Stopper.  Etwas das die nervösen Zuckungen des musculus bulbus rectus superior  (dem zentralen Augenmuskel) für einen Moment unterbindet und die Aufmerksamkeit von homo consumens  mit einer knappen Botschaft oder einem Pfeil auf ein neues Produkt-Feature lenkt. »Jetzt 33% mehr Inhalt!« Ich überlege kurz ob dieser Hinweis auch im Zusammenhang mit der Uhrenschmuckträgerin Sinn machen würde.

Ich neige des öfteren dazu Dinge überzuinterpretieren. Manchmal sind die besonders markanten Outfits einfach nur Zufallsprodukte oder Ergebnisse eines grundsoliden Pragmatismus. Vielleicht ist ihr Blick, genauso wie mein Blick jetzt, einfach an dem rotgoldenen Zeiteisen hängengeblieben, damals als sie an der Schaufensterscheibe des Juweliers vorbeigeschlittert ist, im Skiurlaub in St. Moritz mit ihrem Oligarchenfreund. Zur Anprobe des Schmuckstücks ist sie vielleicht – ganz ungezwungen – aus dem Skianzug gestiegen, um die Wirkung der Uhr am Arm besser beurteilen zu können. Und stand so, einen Moment lang, nur in dieser hautengen, stramplerartigen Skiunterbekleidung vor dem Spiegel des Juwelenhändlers herum. Ich denke Skiortjuweliere können ganz gut mit dem exaltiertem Verhalten ihrer Kundschaft umgehen: Der Strampler, die Rolex —alles kein Problem. „Das hat die Katzenberger  neulich auch so gemacht.“ Wieder Zuhause angekommen, hat sie sich einfach nochmal so angezogen und festgestellt, dass ihr Charakter in dem Aufzug gut zur Geltung kommt. Daraus wurde dann dieses uhrenbetonende, eng anliegende Outfit.

Wieder so ein Wortfetzen. Sie erzählt ihrer Freundin gerade, dass sie ungefähr 250 Bücher besitzt. Ich äffe die Unterhaltung mit ihrer Freundin lippensynchron nach: „Und? Was nimmst du mit auf die Insel?“ „Zweihundertfünfzig Bücher und eine rotgoldene Rolex!“ Ich weiß, ich bin albern. Ich möchte – um fair zu bleiben – nicht völlig ausschließen, dass sich das eine oder andere ausgewählte Buch in ihrer Privatbibliothek befindet, in dem sich eine schlüssige Argumentationslinie für eine rein gestalterische Absicht des massiven Armbanduhrauftritts finden lassen könnte. Spontan fallen mir Titel ein, wie: »Schmuckdesign in Zeiten der Krise« oder »der Akzent – das unterschätzte Stilmittel«. Ich bin natürlich ein Narr, mich an derartigen Oberflächlichkeiten aufzuhalten, ein Fossil aus einer Zeit, in der man sich auf stilistische Zugehörigkeit noch verlassen konnte und anything goes  noch nicht für alles galt. Rolex, Studentencafé, Hornbrille, Catsuit, Gespräch über Minimalismus: Das ist zu viel Input für meine Einornungsalgorithmen. Ich komme aus einer Epoche in der das Tragen eines Flanellhemdes noch eine eindeutige Botschaft senden konnte. Ich versuche mir die vornehme Dame in alternativ-müslimäßigen Outfits vorzustellen. Das klappt eigentlich ganz gut. Bloss diese Uhr, wohin mit ihr? Achtung Wortfetzen! Jetzt denkt sie gerade wieder laut nach —darüber, ob der Purismus eine mögliche Artikulationsform für die Produktgestaltung in Zeiten von Weltwirtschaftskrisen sei.

Was würde Michael dazu sagen

Es war einmal ein schöner Held, der hatte einen dressierten Menschenaffen und schlief unter einem Sauerstoffzelt. Er sang gern und tanzte fingerschnippsend den Moonwalk  dazu. Jeder kannte diesen Mann. Wirklich jeder. Er war der größte Popstar aller Zeiten. Einen wie ihn wird es wahrscheinlich nicht noch einmal geben. Er war ein Star für alle. Menschen neigen noch heute dazu einander nach Hautfarbe einzuordnen. Das nennt man Rassismus. Bei ihm war diese Einordnung von Natur aus schwierig. Das kam so: Schon als kleiner Junge galt er als unglaublich talentiert. Ein süßer Fratz, der von Bienchen und Blumen singend, mit seinen größeren Brüdern von Auftritt zu Auftritt tingelte. Von Erwachsenenthemen, von denen er eigentlich nur vermuten konnte was sie bedeuteten. Ein paar supererfolgreiche Jahre später, war er dann selbst erwachsen und bekam eine ziemlich wuchtige afroamerikanische Charakternase mit Mitessern drauf, war also nicht mehr der süße kleine Fratz. Um die Zeit ein wenig zurückzudrehen, die Nase wieder etwas superstarmäßger erscheinen zu lassen und um auch dem eindeutigen Teint habhaft zu werden, ließ er sich sein Riechorgan auf westeuropäischen Standart bringen und wechselte seine Hautfarbe dauerhaft auf vornehme Blässe. Weil man seine afrikanischen Wurzeln immer noch ein wenig durchscheinen sah, wurde er – rein optisch – zu einer Art Weltbürger. Je nach Blickwinkel entweder Orientale, Asiate, Latino oder Südeuropäer. Der mehr oder weniger bunte Hund für alle. Ein globaler Exot. Gerade dort, wo die Menschen wenig hatten, hatte er viele Fans. Die Armen fühlten sich durch ihn vertreten. Er gab ihnen auf eine bestimmte, nicht reproduzierbare Art, eine Stimme. Nicht zuletzt durch die Themen seiner Lieder. Große Songs waren das, mit spürbarer Ernsthaftigkeit vorgetragen und mit Rhytmen zu denen jeder mit musste. Er war, im dem Rahmen in dem es einem Weltstar eben möglich ist, um Subversion bemüht. Mit Gruselei und Gangsterstaffage. Ein netter Despot, dessen Truppen nicht marschierten, sondern tanzten. Er glaubte stets an eine bessere Welt und an die, wie wir alle wissen —unmögliche Utopie eines friedlichen Miteinanders. Was würde er zu dieser Welt sagen, in der wir jetzt leben? Was wäre Michaels Botschaft gegen die globale Selbstvernichtung, gegen die universelle Dummheit, gegen Terror?

Ich habe ihn vor einer Weile selbst einmal in einer schummrigen Gangsterbar getroffen. Er wirkte ein wenig schüchtern, blickte ab und zu verlegen um sich, sprach nur leise hinter vorgehaltener Hand. Einen sehr glaubwürdigen Abgang habe er damals hingelegt, da musste ich ihm beipflichten. Als er mir erzählte, wie er alle an der Nase herumgeführt hatte, lachte er hinter seiner Hand wie ein kleiner Junge, der im Kiosk unentedeckt ein paar Bonbons mitgehen ließ. Er berichtete mir kichernd von Videoaufnahmen, die ihn angeblich als Geist zeigen, ein Paar Tage nach seinem Tod auf der Neverland-Ranch. Es sei für ihn ein großer Spaß gewesen, mit seinen Filzpantoffeln auf dem frisch gebohnerten Parkett durchs Bild der Videoüberwachung zu rutschen. „Huu Huu, the ghost of Michael Jackson!“ Da war wirklich und eindeutig ein schelmisches Funkeln in seinen Augen. Ich fragte ihn, ob er, jetzt wo er tot sei, noch Einfluss auf seine posthum veröffentlichte Musik hätte. Er verneinte. Es wäre für ihn viel zu gefährlich weitere Bänder mit neuen Stücken an die üblichen Orte zu schmuggeln, wo sie anschließend als unentdecktes Material auftauchen würden. Desweiteren wäre Quincy Jones zwar einer der wenigen Eingeweihten, aber die Möglichkeiten angemessene Studioaufnahmen zu tätigen, wären in seiner neuen Hood  —Nordgrönland nicht dieselben. Kaum Vorstellbar, aber wahr: Der King of Pop lebt jetzt in einer polarlichtbeleuchteten Einöde am Rande der Zivlisation! Er habe sich damals ganz bewußt für die neue Wohngegend nördlich des Polarkreises entschieden. Man würde dort nicht viele Fragen stellen. Es gäbe dort einen bestimmten Brauch, eine Art Ritual, bei dem Neuankömmlinge sich in einen Eisblock einfrieren lassen müßten. Sobald man dann auftaut, wäre man ein Teil der Gemeinschaft. Er habe dabei leider Erfrierungen dritten Grades an seiner ohnehin sehr dünnhäutigen Nase erlitten, das sei aber kein großes Problem. Unter den Inuit würde er kaum auffallen, zumal man dort – trotz Klimawandel – noch eisige Temperaturen habe und alle ständig mit Robbenfell-Gesichtsschutz herumrennen würden. Nein sie wüßten tatsächlich nicht wer er sei. Sein neuer Name wäre: Bahuvat Dagse Pisugtuq: Der mit der vom Eisbären gefressenen Nase.

Das bewegte Selbst

So ziemlich jede Studie, die in allerletzter Zeit zum Thema Narzissmus veröffentlicht wurde, bestätigt den Verdacht: Jeder ist nur noch mit sich selbst beschäftigt. Abgesehen davon, dass das andere Extrem, das Sich-nur-noch-für andere-interessieren, mindestens genauso unangenehm ist, steht immer noch die Diagnose einer handfesten allgemeinen Persönlichkeitsstörung im Raum. Milde Psychologenstimmen meinen dazu, dass einfach nur das Bewusstsein für die eigene Individualität gestiegen sei. Proportional dazu wäre auch das Bedürfnis gewachsen das eigene Spiegelbild zu betrachten oder öfters mal das Profilbild auf Facebook zu frisieren, oder auf Instagram Selfies zu Posten —von sich und seinen coolen Freunden.

Man sollte den Man In The Mirror  ruhig öfter mal zum Zwiegespräch bitten, auch ohne narzisstische Ambitionen, und im besten Sinne des King of Pop.  Den Reflexionen des Egos mit Reflektiertheit begegnen. Das ist schwierig, ich weiß. Wie soll man bloss ein objektives Bild von sich selbst bekommen —ganz ohne Selfie-Stick? Viel zu oft scheitert man an der schönen Verlockung des gespiegelten Selbst und alles bleibt ein Monolog ohne Erkenntnisgewinn: Gut siehst du heute wieder aus! Du Herrscher der Welt, Meister deiner Untertanen! Ohne dich läuft hier nichts, du größter aller Strippenzieher!

Ob man sie wirklich selber halten darf, diese Fäden, das war allerdings eine Weile lang nicht ganz klar. Neurowissenschaftler stellten vor einer Weile bei Tests im Computer-Tomographen fest, dass die Entscheidungen die ihre Probanden für bewusst hielten, schon mehrere hundert Millisekunden früher von deren – sehr eigensinnigen – Denkapparaten beschlossen wurden. Diese Beobachtung war etwas unheimlich: Alle nur auf Autopilot unterwegs. Von innen heraus fremdbestimmt. Zombies des eigenen Bewußtseins. (Ein Verdacht, den ich schon öfters mal hatte.) Vor Kurzem wurde das ungeheuerliche Forschungsergebnis von ein paar anderen Neurowissenschaftlern mit anderen Versuchen widerlegt. Zum Glück. Jetzt sind wir alle wieder ganz wir selbst. Das fühlt sich eigentlich ganz gut an. Nur, jetzt wo man gerade seinen freien Willen zurückexperimentiert gekriegt hat, was macht man nun damit? Richtig: Sich in selbstfahrende Autos setzen und Pokémons in U-Bahn-Schächten jagen.

Wer noch kein selbstfahrendes Automobil sein eigen nennen darf, kann immerhin noch die Kinder im SUV zum Kindergarten und zur Schule fahren. Das ist ohnehin viel sicherer als seine Nachkommen ihrer Selbstständigkeit und dem öffentlichen Nahverkehr auszuliefern. Die passive Sicherheit eines solchen stählernen Kokons ist so enorm, dass man kaum etwas mitbekommt von Kollisionen mit Kleinwägen, Radfahrern oder Kindern anderer Eltern. Dabei ist die Geschichte des SUVs eine Geschichte voller Missverständnisse. Es geht keinesfalls darum, mit diesen Fahrzeugen herumzuprotzen. Wie sollte das auch gehen? Sie sind wirklich hässlich, diese Dinger. Es ist eine Bürde, das SUV-Fahren. Etwas das Mitleid erregt, bei der aussichtlosen Parkplatzsuche in Tiefgaragen. Etwas das Spott und Häme auf sich zieht, in engen verkehrsberuhigten Spielstrassen. Angenehm ist es beileibe nicht. Es geht beim Fahren eines SUVs vielmehr darum, die eigene, ungeschützte Seele nach aussen zu kehren. Hinter dem dicken Blech wird viel mehr transportiert als nur ein paar wenige Insassen. Das Sports Utillity Vehicle  ist die Vehikel gewordene Entsprechung unseres Grundbedürfnisses nach Geborgenheit. Ein blecherner Schrei nach Liebe. Es steht ihm dabei paradoxerweise ebenso im Weg, unserem innersten Wunsch nach Verschmelzung mit Umwelt, Strassenverkehr und Menschlichkeit. Dieses Präservativ. 2,5 Tonnen schwer, 450 umweltfreundliche Hybrid-PS stark.