Down with the Technoheads

Es ist garnicht solange her, da war ich ein Teil einer Jugendkultur. Für mich begann meine persönliche Technofizierung mit einer Wahrnehmungstörung die durch eine Radiosendung verursacht wurde. Solche Störungen wurden damals erst dadurch möglich, dass die Medienlandschaft allgemein wenig Ablenkung bot. Interessierte man sich für den neuen heißen Scheiss befand man sich in einem Zustand ständiger Reizdeprivation. Nur tief in die Nacht ausgestahltes Untergrund-Radioprogramm (oder das was man dafür hielt), konnte das innere Verlagen junger, mittelloser Musiksuchender nach neuen Klangerlebnissen stillen. Ich wurde sehr früh von meinem ältesten Bruder Andreas an die schönsten Blätter des Wellensalats geführt, er schenkte mir noch im Grundschulalter alles was man für die aktive Teilhabe am ultrakurzen Wellenspektrum braucht: Ein Tapedeck, zwei Boxen und einen Receiver (einen Verstärker mit Radioteil). Das machte Sinn, da mein Elternhaus immer in Sendereichweite interessanter Radiosender lag. BFBS (British Forces Radio Station) hinterließ bei mir sehr prägende und düstere Klangeindrücke der 80er-Jahre-Musik. Der Jugendsender des Hessischen Rundfunks, HR3, bescherte mir in der Folge eines der nachhaltigsten Hörerlebnisse meines Lebens. Dazu später mehr… Wie viele andere, versuchte ich diese kostbaren Momente emsig mit Kasettenaufnahmen zu dokumentieren. Heute hätte ich mit dem alten Equipment meines Bruders ziemlich schlechte Chancen auf Kurzwellenempfänglichkeit. Vor kurzem wurde hier das terrestrische, analoge Radio abgeschafft. Ich bin aber rechtzeitig genug auf Internetradio umgestiegen. —Vorerst bleibe ich wohl im Radio Game.

Im Internet kann man jetzt sehr viel mehr Radioprogramm finden, als man jemals hören könnte. Das leidige Mitschneiden auf Tape kann man sich ebenfalls sparen. Geheime Playlists sind meistens schnell gefunden. Auch wenn man sich sowieso niemals etwas ein zweites Mal anhört. Am besten gibt man sich einfach den Geschmacksalgorythmen gängiger Streaming-Dienste hin. Eigentlich schade, dass meine Jugend gerade vorbei ist, jetzt wo es soviel zu hören gibt. Aber Techno ist ja auch schon wieder gestorben. Wieso bekommt man im Leben eigentlich nie den ganzen Kuchen serviert? Moment, ich muss mich korrigieren, da war doch noch etwas: Techno lebt! Ja, ihr lest richtig! Das dumpfe Gehämmere, das ich damals in der HR3-Clubnight hörte, bevor ich überhaupt wußte was eine Clubnight ist, und anfänglich überhaupt nicht für Musik hielt und trotzdem oder gerade deshalb total faszinierend fand, lebt in der Dreißigquadratmeterwohnung meines Nachbarn weiter. Ja richtig, genau bei dem, der immer nachts so viel herumhämmert! Ob das Hämmern Techno war? Nee, der hat sich bloß dort wo es möglich oder unmöglich war, Regale drangebaut. Ich war jetzt doch mal bei ihm drin. Angelockt vom, mir noch aus Jugendtagen vertrauten Sound des Detroid Techno, der aus seiner Wohnung in annehmbarer Lautstärke auf den Flur drang, hab ich einfach mal bei ihm sturmgeklingelt. Weil mich anscheinend niemand hörte habe ich vor die Tür gedroschen, bis mein Nachbar endlich auftauchte. Er setzte mich darauf hin in Kenntnis, dass ich einem Live-Podcast beiwohnte. Hier wurde also gerade – wenn man so will – Radio gemacht. Ich war einem mehrfachen Flashback meiner Jugend ausgeliefert und konnte mich garnicht mehr einkriegen. Plötzlich war alles wieder da: Ich war wieder der gleiche wissbegieriege Schüler der School of Schranz. Meine Lieblingsfächer: Geartalk über Synthesizer, Platten- und Labelkunde, Clubrankings of Germany und natürlich Resident-Dj-Quartett. Aber irgendetwas war auch anders, es fiel mir überhaupt nicht sofort auf. Das Durchschnittsalter der Anweseden Dj´s, Labelbetreiber und Remixer war deutlich jenseits der Dreissig. In einem längeren, klärenden Gespräch brachte ich in Erfahrung, dass der Techno-Lifestyle durchaus mit dem Familienleben eines konventionellen Mittelschichtshauhalts kompatibel ist. DJ-Trümmer plauderte direkt aus dem Nähkästchen: „Für meine Frau ist das völlig ok, wenn ich einmal im Monat auflegen gehe, solage ich Sonntags über in der Lage bin den Geschirrspüler auszuräumen und die Kinder zu bespaßen.“ Na wenn das so ist, bin ich auch wieder mit dabei!

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